Das Winterloch-Interview

Lieber rechtzeitig die Probebohrung ansetzen…

Vier Experten befragt von Thorsten Schmidt 24.01.2015

Nach dem Vermessungsprotest während der Weltmeisterschaft in Melbourne sind viele OK-Segler ratlos. Wie ist das Ganze einzuordnen, brauchen wir neue Regeln, neue Kontrollen?
Was liegt näher als die nachrichtenarme Saure-Gurken-Zeit vor der neuen Saison zu einem Gespräch mit wirklichen Experten zu nutzen. Auf  jeweils die gleichen 5 Fragen getrennt befragt antworteten:

Hartmann1

 

Christian Hartmann,
Mitglied im technischen Komitee der OKDIA,

 

 

Ralf Tietje1

Ralf “Ossi” Tietje,
Vermesser und Schiedsrichter,

 

 

Martin_von_Zimmermann
Martin von Zimmermann,
technischer Obmann der deutschen KV

 

 

 

Greg1

und Greg Wilcox,
Schiedsrichter und Mitglied im technischen Komitee der OKDIA

 

 

 

Frage 1:
Wie beurteilst du den Vermessungsprotest bei der WM in Melbourne?

Hartmann1Es war alles richtig mit der Disqualifikation. Es war eindeutig der Versuch sich einen Vorteil zu verschaffen gegen die Intention der Regel. Svendson ist einfach nur erwischt worden und der Zeitpunkt wann eine Kontrolle durchgeführt wird und wie liegt im Ermessen der Kontrollvermesser und es steht uns nicht an das zu kritisieren.

 

Ralf Tietje1Die Disqualifikation war absolut berechtigt, der Segler wusste natürlich Bescheid über die Überdimensionierung der Unterlegplatten am vorderen Schott und natürlich ist das ein unerlaubter Versuch der Gewichtskonzentration. Das Vorgehen der Jury war aus der Ferne betrachtet völlig regelkonform. Einzelkontrollen zwischen den Wettfahrten sind absolut nicht ungewöhnlich. In Steinhude wurden jeweils vor den Wettfahrten 3 Boote ausgelost und vom Vermesser überprüft. Die Reaktion der Dänen halte ich für übertrieben, wir sollten alle mehr Wert auf Fairness legen

Martin_von_ZimmermannGanz großer Mist. Das ist etwas, was wir in unserer Klasse nicht haben wollen. Die Eingangskontrollen vor der WM sollten möglichst gründlich durchgeführt werden, damit während einer WM-Serie solche Proteste nicht mehr von offizieller Seite durchgeführt werden müssen. Nach der Vermessung sollte es um  das  Segeln gehen. So ein Protest während der Wettfahrtserie verdirbt die Stimmung von allen und zerstört den Spaß und das internationale Gemeinschaftsgefühl das die OK-Segler ja auch haben wollen. Während der Serie sollten keine Kontrollen durch Funktionäre stattfinden, aber natürlich sollten die Segler untereinander die Möglichkeit haben zu protestierten, wenn z.B. einer vor dem Rennen sein Blei wieder ausbaut.

Greg1Meiner Meinung nach war der Protest absolut in Ordnung.  In den 35 Jahren, in denen ich OK-Jolle segle habe ich einiges gesehen, aber das war der schlimmste Fall eines Versuchs der Gewichtskonzentration. Das ganze Geschehen wurde ordentlich und strikt nach den Regeln abgewickelt. Der Segler hatte die Chance das Boot zu ändern und weiter zu segeln. Der Rest der Dinge, die Gegenproteste, der Versuch auch Betrug bei anderen nachzuweisen,  waren meiner Meinung nach unwürdig für die beiden beteiligten Segler.

Frage 2:
Handelt es sich nach der bestehenden Regel um Gewichtskonzentration?

Hartmann1Die Intention der Regel 8.3 ist verletzt worden auch wenn Beschläge nicht ausdrücklich erwähnt werden. Es war eine verbotene Gewichtskonzentration! Die Boote sollen möglichst gleich sein im Rahmen der Regeln und das war der Versuch sich einen unerlaubten Vorteil zu verschaffen. Das hat mit Fairness nichts zu tun und geht sogar in Richtung unsportliches Verhalten. Die fest angebrachten Beschläge sind im Sinne der ja schon historischen Regel Teil des Rumpfes und werden auch so behandelt, schließlich wird das Bootsgewicht bei montierten Beschlägen bestimmt. Der Fehler ist es die Boote extra und bewusst so leicht zu bauen wie es nur geht, um Spielraum für solche Manipulationen zu haben. Die Dänen haben da auch mit den Selbstbau-Booten und dem besonders dicken Boden im Cockpitbereich sehr viel Innovation in die falsche Richtung betrieben. Wenn man Neuerungen am eigenen Boot anstrebt, von denen man nicht sicher weiß ob sie der Regel entsprechen, kann und sollte man diese beim technischen Komitee der OKDIA einreichen und überprüfen lassen bevor man das ganze in die Praxis umsetzt.

Ralf Tietje1Ja, auch nach der bestehenden Regel handelt es sich um verbotene Gewichtskonzentration. Der Rumpf wird mit den Beschlägen gewogen. Damit sind die Beschläge auch Teil der Beurteilung hinsichtlich des Gewichts und der Verteilung. Die Dimensionierung der Beschläge muss entsprechend ihrer Funktion gewählt werden.

 

Martin_von_Zimmermann
Die eingebauten Hängegurtunterlagen waren überdimensional und das ist ganz klar verbotene Gewichtskonzentration. Da hat einer versucht eine Lücke in der Regel auszunutzen und zwar direkt ordentlich, nach dem Motto: wenn schon, denn schon!

 

Greg1Die Stahlplatten waren komplett über dem was wirklich gebraucht wird als Unterlage für die Hängegurte. Der Stahl hatte nur eine einzige Bestimmung, nämlich das Mindestgewicht des Bootes zu erreichen. Das Gewicht war nicht verteilt sondern konzentriert an einem Fleck. Wenn man die 5,4kg Stahlplatten nimmt und dazu noch die 2kg Ausgleichsgewichte berücksichtigt, waren mehr als 10% des gesamten Rumpfgewichts am Schott, also an einem Punkt konzentriert.

Frage 3:
Brauchen wir eine Änderung der Regel oder gar eine ganz neue Regel?

Hartmann1Ja, wir brauchen eine neue Regel! Es gibt leider viele Unsicherheiten und Ungenauigkeiten. Was ist z.B.  mit “Hull” genau gemeint?  Nur die Schale?  Jede Änderung  der Regel muss sich an den ERS der ISAF orientieren und da gibt es heute für die verwendeten Begriffe aktuelle Definitionen. Diese Definitionen stammen übrigens zum großen Teil von Gunther Ahlers  unserem geliebten Ex-DSV-Chefvermesser.  Es gibt aber Stand heute bisher noch keine Aktivität innerhalb der OKDIA hinsichtlich einer neuen Regel.

Ralf Tietje1Die bestehende Regel ist eigentlich jetzt schon eindeutig. Die maximalen Dimensionen von Beschlägen festzulegen halte ich für Unsinn. Die Größe muss zur Funktion passen. Sind Beschläge übergroß oder schwer ist das verboten. Sind die Auflagen am vorderen Schott dicker oder schwerer als am hinteren Schott ist das nicht in Ordnung.

 

Martin_von_ZimmermannNun, die Frage der Beschläge sollte geklärt werden. Ich glaube wir brauchen eine Änderung der Regel. Wie die konkret aussehen kann weiß ich nicht, wir können keine Maximalgewichte für einzelne Beschläge vorgeben, sonst müssen wir das auch kontrollieren und fangen dann bei der WM an einzelne Beschläge abzubauen und zu verwiegen. Ich habe keine Ahnung wie wir das regeln sollen.  Letztendlich muss die Regel zur Gewichtskonzentration immer allgemein gehalten sein und erfordert deswegen immer auch eine Interpretation durch den Kontrolleur aber auch den Segler.

Greg1Ich denke wir müssen nur einen (Anm.: Satz-)Punkt setzen in der Regel (Anm.: hinzufügen). Im ersten Satz der Regel sind  Bestimmungen über die Rumpfdicke und Bauweise, wie bisher. Im zweiten Satz steht dann ausdrücklich: Gewichtskonzentration ist verboten! Es steht eigentlich schon alles da, wird auf diese Weise aber noch klarer.  Die Absicht der Regel war schon immer klar, wir müssen es jetzt aber offensichtlicher ausdrücken, weil so viele neue Boote gebaut werden.

Frage 4:
Wie sollen in Zukunft Kontrollen zur Gewichtskonzentration aussehen?

Hartmann1Kann ich nicht beantworten. Vielleicht kann man auf der nächsten WM eine freiwillige Messreihe von unterschiedlichen Booten durchführen z.B.  mit dem Messverfahren der Cadets. Ich habe aber meine Zweifel ob der Test valide genug zwischen erlaubter und nicht erlaubter Konstruktion unterscheiden kann, also ob die Messergebnisse weit genug auseinander liegen.   Ein Schwingtest ist zu aufwendig, davon halte ich aus pragmatischen Gründen nichts. Eine Alternative ist eine konsequente Überprüfung der Boote mittels Augenschein, Inspektion, Klopfen, hinsichtlich einer Gewichtskonzentration. Auch zerstörungsfreie Werkstoffprüfungsverfahren z.B. Ultraschall halte ich für ein geeignetes Mittel.

Ralf Tietje1Es wird schwierig!  Ich habe die Uni Hannover angefragt ob es eine Möglichkeit gibt z.B. die Dicke der Schale zerstörungsfrei zu messen. Nach Auskunft der Fachleute dort ist das sehr schwer wegen der Sandwich-Bauweise und der Lufteinschlüsse im Schaum. Eventuell kann an bestimmten Stellen gegen eine außen angelegte Metallplatte gemessen werden und so ein Grenzflächensignal im Ultraschall erzeugt werden. Ein Schwingtest ist extrem zeitaufwendig und kann höchstens für Stichprobenmessungen verwendet werden. Aber natürlich fehlt eine entsprechende Meßeinrichtung und auch Normalwerte.

Martin_von_ZimmermannDas ist nicht einfach:  Es gibt jetzt schon etliche Boote, die bei genauer Untersuchung gegen die bestehende Regel  verstoßen. Wir haben als Klasse ein Problem, wenn wir die Hälfte der Flotte verlieren wegen gewichtskonzentrierter Bauweise. Wo bleibt da der Spaß? Andererseits, wenn alle die Regeln missachten, jeder macht was er will, warum sollen wir uns dann noch an Wettfahrtregeln halten und  unsere Kringel drehen? Kontrollen müssen sein, sonst ist dem Beschiss Tür und Tor geöffnet. Lieber rechtzeitig die Probebohrung ansetzen… Den Schwingtest der Finns, den gucke ich mir nochmal an, aber wir müssen den Aufwand der Vermessung im Rahmen halten, wir haben ja keine Woche Zeit dafür wie die Profis.

Greg1Ich weiß nicht was ich da antworten soll. Ich denke vielleicht kommt eine Art Schwingtest oder eine Schwerpunktbestimmung.

Frage 5:
Ist eine Gewichtskonzentration überhaupt von Bedeutung für die Bootsgeschwindigkeit?

Hartmann1Ja, ich glaube es ist relevant.

 

 

Ralf Tietje1Gewichtskonzentration ist sicher ein Vorteil, vor allem beim Segeln in der Welle. Wie groß? Das kann ich nicht sagen.

 

 

Martin_von_ZimmermannSchwer zu sagen wie groß der Effekt wirklich ist. Wichtig ist die Konzentration in der Längsachse möglichst weg von den Enden in die Mitte. Die Konzentration in den beiden anderen Ebenen ist nicht entscheidend. Das ganze Thema ist nicht wichtig bei flachem Wasser aber in der Welle entscheidend. Je mittiger das Boot konzentriert ist, desto leichter kann das Boot über die Welle nicken.

 

Greg1Es ist gar keine Frage, Gewichtskonzentration  verbessert die Performance des Boots. Man ist schneller in der Welle, weil der Bug nicht soweit eintaucht. Ein niedrigerer Schwerpunkt macht das Boot auch stabiler. Wenn wir alle diese Dinge demnächst messen wird es interessant sein wie groß die Unterschiede zwischen den verschiedenen Booten wirklich sind. Ich glaube die Boote liegen enger zusammen als viele Leute glauben.  Wenn du schlecht startest oder keine Winddrehung richtig erwischt oder vor dem Wind keine Welle bekommst, dann hilft dir am Ende auch keine Gewichtskonzentration.

 

Vier Experten auf glattem Eis und… DAS WINTERLOCH (C): Brücke-Osteuropa