Orgel

Aus der Ferne beobachtet: Stefan de Vries wird NL-Champion

von Thorsten Schmidt 11.09.2025
Irgendwie war ich gestresst als ich am Samstagmorgen nach dreieinhalb-stündiger Fahrt am Zuidlaarder Meer in der Nähe von Groningen aufschlug. Dabei hätte alles so schön sein können!

Eine Woche vorher hatte ich meine neue OK-Jolle bei André Budzien in Schwerin abgeholt. Und obwohl die Ovington von André komplett ausgebaut und wie versprochen segelfertig war, hatte ich die Woche über noch einiges zu tun am Schiff: Mein Mast war zu lang, das alte Ruderblatt passte nicht, die Strippen sollten auf die richtige Länge gekürzt werden, der Getränkehalter musste angebaut werden und andere Hängegurte sollten auch rein in den neuen Renner. Lauter kleine Bastelarbeiten, die Spaß machen, wenn man genug Zeit hat.

Hatte ich aber nicht, die Woche war vollgepackt mit Arbeit und ich schaffte es gerade so den Mast zu kürzen und nahm für den Rest der Arbeiten Werkzeug mit in den Norden von Holland. Das wird schon irgendwie noch gehen vorher…

Auf die Geschwister Dellas ist Verlass! Jan-Dietmar hatte die bestellten Beschläge und Ausreitgurte dabei und so konnte das lustige Basteln unmittelbar losgehen. Die Sonne schien, alle waren gut gelaunt und gratulierten mir zum neuen Schiff und ich war voll angespannt: Die Zeit war knapp, schließlich standen an jedem Tag vier Rennen auf dem Programm und so sollte samstags der erste Start schon um 12:00Uhr sein.

Während ich also den oberen Ruderbeschlag auswechselte, bemerkte Peter Scheuerl einen grauen Gegenstand auf dem Cockpitboden. Mit Scheuerl habe ich bereits vor Jahrzehnten! sagenumwobene Nachtsitzungen in der Bootswerft Hein verbracht beim Zusammenschrauben von GER 688 und GER 707, zunehmend erschwert durch fortgesetzten Bierkonsum -legendär!

Der Gegenstand entpuppte sich als das Bleigewicht von der Backbordseite, dass sich durch Vibration? bei der Fahrt gelöst hatte und auch auf der anderen Seite war der 2,5kg-Klotz lose gerappelt. Sollte ich vielleicht doch mal die Lager vom Trailer nachstellen lassen?

Glücklicherweise hatte der Klotz am Schott und im Boot keine Beschädigung angerichtet, aber wieder anschrauben mit den Holzschrauben ging nicht mehr und so fixierte ich die Bleiklötze kurzerhand provisorisch mit viel Tape am Cockpitboden und hoffte das Beste.

Kaum war das geschafft, kam die nächste Hiobsbotschaft, überbracht von dem ernstlich besorgten Trio infernale Thomas Sander, Ralf Mackmann und Cord Prignitz: „Das Schiff sei ja gar nicht getauft und könne unmöglich in diesem Zustand in See stechen, das sei gefährlich und bringe auf jeden Fall Unglück!“

Oh nein, das hatte ich ja komplett vergessen, die Taufe! Vielleicht war es die Nähe zu Ostfriesland, aber unwillkürlich fiel mir die geweihte Christopherus-Plakette an der Orgel ein, die bei Otto Waalkes den Zusammenstoß mit anderen Orgeln sicher verhindert hatte. Ein ungetauftes Schiff musste ja zwangsläufig ständig mit anderen kollidieren und ich sah vor meinem geistigen Auge ein riesiges Loch im neuen Rumpf und das Boot auf Tiefe gehen.

Während ich den Kasten Bier aus dem Auto holte, suchte ich fieberhaft nach einem Namen für das neue Schiff. Stefan Rassau hatte in Anlehnung an die Vorkommnisse in Mallorca mit meinem alten Schiff schon damals vorgeschlagen das Neue „Krahn nicht!“ zu nennen, Thomas schlug als Name vor „Das Gelbe vom Ei“, das wäre die logische Fortsetzung, weil mein altes ja „Das Blaue vom Himmel“ heißt. Auf dem kurzen Weg zurück fiel mir noch ein „Gut-drauf-los!“ und „Lass sie laufen, die Hoffnungsmaschine!“ und dann goss Thomas, der sich kurzerhand per Selbstermächtigung zur Jungfrau erklärt hatte, schon das Bier der Marke „Schreckenskammer“- auch ein hübscher Name (Werbevertrag?), über den Bug.

Endlich konnte es losgehen. Was soll ich sagen? Die Nottaufe hat gewirkt, es gab das ganze Wochenende keine Kollision, weder mit Orgeln noch mit anderen Objekten. Sogar mein Frühstart im ersten Lauf wurde geflissentlich übersehen, weil sich dankenswerterweise Fabian Rossbacher noch ein bisschen weiter nach vorne getraut hatte und so die Sicht auf mein Schiff mit den vielen Namen verdeckte. Auch sonst schien ich vom Glück verfolgt: Das Boot fuhr schnell, fühlte sich mit den neuen Hängedecks sehr bequem an und wenn ich mal weiter hinten war reichte ein Extremschlag auf die eigentlich unbeliebte linke Seite und ein passender Dreher für die nächsten fünf Minuten um mich wieder ins Spiel zu bringen.

So kam es, das ich am Samstag Abend voller Glückseligkeit im Clubhaus saß und als Dritter der Liste ohne Streicher entspannt über das Leben philosophieren konnte, während Sybren Hornstra als unser Co-Gastgeber und Aushilfswirt ein Bier nach dem anderen für uns zapfte.

Die vier Rennen des Tages bei wunderbaren 3-4 Windstärken und strahlend blauem Himmel verliefen immer nach dem gleichen Muster: Der Start am Pin-End war vielversprechend, die Meute fuhr auf der Startkreuz immer gerade aus nach links und bei den nächsten Kreuzen immer nach rechts. Abweichler wurden bis auf wenige Ausnahmen, -siehe oben, gnadenlos bestraft.

Stephan de Vries war meist schon an der ersten Tonne einige Meter vor den Verfolgern und vergrößerte seinen Vorsprung auf den folgenden Kursen kontinuierlich. Er gewann alle vier Rennen am Samstag mit Abstand und auch am Sonntag bei etwas böigerem Wind und leicht bedecktem Himmel änderte sich daran nichts. Sein Vortrag war so überlegen, dass die Wettfahrtleitung für das nächste Jahr allen Ernstes plant, eine Luvtonne extra nur für ihn 250m weiter in Luv zu platzieren, um dem Rest des Feldes eine Chance zu geben.

Der Rest des Feldes, dass waren vor allem Cord, der wie immer smart segelte und kaum Fehler machte, Jan-Dietmar, dem nach perfekten Starts in Lee der lange Schlag in die Ecke sehr entgegen kam und Gabriel Koningsfeld, der sich fast in jedem Rennen vom Mittelfeld nach vorne kämpfen konnte. Alle konnten nur aus der Ferne zusehen wie Stephan de Vries einsam seine Kreise zog auf seinem Heimatrevier, mit großem Abstand alle acht Rennen gewann und so seinen Titel als Niederländischer Meister souverän verteidigte.

Meinem neuen Boot und mir aber blieb das Glück treu: Kein Hangover am Sonntagmorgen, die erste Kenterung mit dem neuen Boot  erledigte ich komplikationslos und ohne Bleiverlust und als Frank Strelow dann auch noch meine Rechnung beim Wirt bezahlt hatte nach meiner etwas überstürzten Abreise wegen eines Abendtermins war das Wochenende wirklich gelungen.

Ob ich mir vielleicht sicherheitshalber auch noch eine geweihte Plakette ans Boot mache? Schaden kann’s doch nicht bei all den Orgeln…

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