Polnische Meisterschaft / Wolsztyn: 18.-21.08.2005

Im Land der unglaublichen Spurrillen

oder: die Polen segeln wie sie Auto fahren

oder: the Lord of the Yellow Flags

von Jule Hofmann 30.08.2005

Schon zu Warnemünde kam der Hartmann mit der Idee an, man müsste doch mal nach Polen fahren. Deren Meisterschaft liege zeitlich günstig ( 18. – 21. 08. 05) und weit weg wär´s auch nicht (120 km hinter Frankfurt/ Oder). Na denn, die Werbetrommel wurde gerührt und dann sind wir zu sechs (die „Wickelkoppes“, Erwin, Mary, der Präsident und ich) gen Osten aufgebrochen. Ohne den Hartmann, denn der wurde eine Woche vorher von einem wilden Schwein auf nächtlichem Nachhauseweg trunken vom Rad geholt und riss sich die Strecksehne des Ringfingers. Der liegt nun steif im Streckverband. Dabei kam ihm sein Portemonai mit sämtlichen Papieren abhanden. Das ist schon fast Alistair-Deaves-Niveau! Aber wir können ihn trösten: Wäre er mit nach Polen gekommen, hätte er wahrscheinlich die ganzen vier Tage in Protestverhandlungen gesessen statt zu segeln. Außerdem wäre er erst heiser, dann verrückt und schließlich radikal geworden. Oder andersrum.

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achtung spurrillen

 

Fährt man in Frankfurt/ Oder über die Grenze kommt erstmal eine ganze Weile lang nichts, außer Wald. Dann kommen sagenhaft tiefe Spurrillen, die ein über-75-km/h-schnelles Fahren unmöglich machen. Die Polen stört das nicht – die donnerten mit ihren Lastern auch auf einspurigen Trassen ungerührt am OK-Konvoi vorbei: wo waren bloß unsere blauen Tauben-Flaggen? Wir wollten doch nur zum Segeln… Und dann kommen die ganzen TIR-Center mit den Puffs dran. 24-h-Service, der Truck wird nebenbei gewartet…

In Wolsztyn kamen wir nach 1,5h Geholper an. Ein kleiner Dümmer-ähnlicher See, aber tiefer. Es war bereits ein Großteil der 50 Starter angereist. Fast alle mit Alumast, teilweise mit Holzbaum, schrulligen Boote und sämtlichen alten Port-Nicholson-Segeln, die je produziert wurden. Das antikste Modell war ein baumwollenes Segel von Brenda Andrews mit der Nummer K 1978. Dafür liegt das Durchschnittsalter der Segler locker bei 20, allein 25 Junioren waren gemeldet. Unsere polnischen Freunde schleppten gleich das einschlägig bekannte Volksgetränk an. Man trank zuversichtlich auf eine gute Veranstaltung und die deutsch-polnische Freundschaft.

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achtung oldtimer

 

Am nächsten Morgen fand ich vor dem Zelt mein Abendbrot und Kay erzählte mir, nach dem dritten Wodka hätte ich ohne Glas zur Flasche gegriffen und „Tschüß“ gesagt – kann ich mir gar nicht vorstellen… Nachmittags sollten wir dann segeln. Sonne war da, Wind auch so einigermaßen und warm war´s allemal. Das Kraftwerk am andern Ende des Sees zeigte deutlich die östliche Windrichtung per schwarzer Rauchfahne an. Man brauchte keinen Sonneschutz, nur die Zelte und das Campinggestühl bedurften der morgendlichen Reinigung. Kärcher finden in der Region sicher reißenden Absatz.

Im ersten Rennen zeigte gleich Antoni Pawlowski, wie es so laufen sollte. Arne konnte Platz sechs erreichen, wurde aber gelb geflaggt und der Rest kam dann auch so unter den ersten 33 ins Ziel. Generell war der Schiedsrichter recht scharf. Fast alle aus den Top 10 bekamen den gelben Lappen zu sehen, mancher Penetrant-Pumper leider nicht. Das System war etwas undurchschaubar. Was wir schnell realisierten war, dass doch wenig Wert auf Tonnenrundungsregeln, Pump- und Rockregeln sowie keinerlei Rücksicht auf eventuelle Schäden an Mann und Material gelegt wurde. Fehlten bloß noch die Spurrillen….

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Rennen zwei wurde von Arne gefolgt von Jule mit großem Vorsprung gewonnen. Greg landete auf dem dritten Platz, Gunnar auf dem sechsten und Kay auf dem zehnten. Schön was?, … wenn nicht vor der Zielkreuz Arnes Freund, der Schiedsrichter, und erneut gelb geflaggt hätte. Arne machte sehr überzeugend den Hartmann, fuhr aber weiter ins Ziel. An Land bekam er dann den Bescheid des DNE (do not exclued). Nun sind wir alle schlauer, dank Arnes Exempel. Gibt man nämlich nicht nach der zweiten gelben Flagge auf (gern auch ohne kringeln), muß man das DNE unstreichbar durch die ganze Serie mitschleppen. Gibt man auf, wird es ein DNF und kann gestrichen werden. Wird man drei mal gelb geflaggt, kann man einpacken. Hätte Arne das gewusst, wäre er der Gewinner der polnischen Meisterschaft geworden. Enttäuscht gab er sich dem Wodka hin…

Tag Zwei strahlte uns entgegen. Hoch motiviert absolvierte ich ein paar morgendliche Streck- und Dehnübungen mit dem Ergebnis, dass ich meinen Schultermuskel verknotete und schmerzgeplagt im dritten Rennen zum Tabletteneinwurf an Land fahren musste. Arne rächte sich für die vortägliche Schmach mit einem Abstands-Sieg. Die drei weiteren Rennen waren nicht sonderlich spannend. Vorne bei waren immer Antoni und Greg und Arne. Meist musste man nur schnell und gut starten, links rausfahren, in der Mitte wenden, vor dem restlichen Feld nach rechts brettern, ganz cool die fiesen Winddreher vor der Tonne überstehen und sich dann ja nicht vom nachkommenden Feld den Wind wegnehmen lassen. War man einmal in den Massen verbuddelt, bestand keine Chance mehr auf dem kleinen See freien Wind zu finden und nach vorne zu segeln. Besonders die Tonnenmanöver zu 25igst bescherten nicht nur Einschläge in Boot und Nerven, sondern ermöglichten auch allen vor dem Knoten segelnden einen immer mehr expandierenden Vorsprung auf das Feld. Generell sind die polnischen Segler technisch und methodisch nicht unschlagbar, die Einstellung des Pumpens oder das Einklagen von Wegerechten an den Tonne war jedoch trotz lautstarkem Lamentieren unmöglich. Schließlich entschieden wir uns zur Defensivtaktik: lieber außen um den Tonnenpulk runden und schnell auf die falsche Seite in den freien Wind fahren. Und damit hatte man sogar Erfolg. Abends wurde dann gesozialist. Vom Wodka hielten wir uns fern – wer das nicht schon mit der Muttermilch aufgesogen hat, wird das nie souverän händeln können…

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Sonnabends standen drei Wettfahrten an. Gunnar schien sich eingefahren zu haben und legte eine gute Serie hin. Arne spielte wieder ganz vorne mit, ohne jedoch ein Rennen gewinnen zu können. Diese wurden von Pawel und Jule einkassiert. Kay sah gelb und Tobi segelte seine persönliche Bestplatzierung. Abends war Feten angesagt. Es gab ein Buffet mit deftigem Essen und jede Menge Bier am Meter. Und dann kam der Bus mit den Frauen – und Charly war nicht da! Ein DJ hämmerte durch kaputte Boxen Hits in die laue Sommernacht bis früh um drei… Vielleicht hätten wir in dieser Nacht doch noch mal zum Wodka greifen sollen – ein narkotisierter Schlaf hätte das WUMWUM sicher nicht ins Bewusstsein vordringen lassen.

Rennen 10 am letzten Tag. Der Sieger stand bereits fest. Antoni hätte nicht mehr segeln müssen und legte demzufolge einen mäßigen achten hin. Arne hatte als schlechtesten Streicher einen 11. Platz – genauso wie der Sieger, konnte aber die 50 Punkte des DNE nicht loswerden und legte noch einen Frühstart drauf. Jule startete auch früh, korrigierte aber und wurde noch fünfte. Kay fuhr seinen bei weitem schlechtesten Streicher und wurde sogar von Tobi überholt und Greg gewann das Rennen.

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Die Siegerehrung war sehr formell. Leider verstanden wir nichts. Zwei Wertungen wurden gezählt – eine offene und eine nationale. Das tröstete Arne – er hätte den Titel nicht tragen können. Somit gewann Antoni vor Pawel und Greg. Bester Deutscher wurde Dank seiner konstanten Leistung Kay auf Platz 10, gefolgt von Arne auf Platz 11. 12te und somit zum Schreiben verdonnert wurde Jule und das Packet machte Gunnar auf dem 14. Platz voll. Tobi errang den 11. Juniorenplatz und endetet souverän auf Platz 33 der Gesamtwertung. Güldene Pokale, Medaillen und hochwertige Sachpreise wurden verteilt, das restliche Feld bekam gesponserte Fußkosmetik. Eine nette Idee… Per patriotischem Akt wurde unter Glockenschlagen die polnische Flagge eingeholt – Gott sei Dank gab´s keinen Abschiedswodka…

Der Nachhauseweg führte an der wartenden LKW-Schlage vorbei. Diese stapeln sich wegen des deutschen Sonntagsfahrverbot vor der Grenze. In jeder Waldwegeinfahrt wartete ein leichtes Mädchen, die Spurrillen bahnten sich den Weg gen Westen.

Einen großen Dank an die polnische KV für die Einladung nach Polen und die gut organisierte und souverän durchgeführte Veranstaltung, die sicher auch nächstes Jahr eine Reise wert ist und die herzliche Gastfreundschaft. Ebenso Danke an den Hartmann, der sich um unsere Anreise gekümmert hat und an Falk, der sein Boot sponsorte.

Nastrovje sagt Jule