Auf der Suche nach dem perfekten Mast -Teil II


Artikelserie von Jean-Michel Roux

Originalartikel ©2019 
übertragen mit freundlicher Genehmigung des Autors aus dem Französischen von Thorsten Schmidt 03.05.2020
Der erste Teil dieser kleinen Artikelserie über moderne Carbonmasten hat sich vor allem mit den konstruktionsbedingten Eigenschaften und deren theoretischen Auswirkungen auf das Biegeverhalten beschäftigt. In diesem zweiten Abschnitt geht es mehr um praktische Aspekte, also um ganz konkrete Biegewerte real existierender Masten.
Ende 2016 kündigte der Autor des Artikels „Der perfekte Mast“ an, eine Datenbank mit Biegeeigenschaften von vorhandenen Masten erstellen zu wollen. Damit sollte uns allen die Auswahl eines geeigneten Mastes erleichtert werden. Leider ist eine solche Datenbank, -falls sie existiert, bis heute nicht veröffentlicht worden.

Auch in Großbritannien wurde 2018 versucht eine ähnliche Datensammlung zu erstellen. Die Initiative von Karen Robertson scheint ebenfalls nicht sehr erfolgreich gewesen zu sein. Offensichtlich gibt es trotz der in der Klasse immer wieder lebhaft geäußerten Absichtserklärung, Wissen mit Neuankömmlingen zu teilen, eine gewisse Zurückhaltung dabei, die „magischen Werte“ der Masten erfolgreicher Segler zu veröffentlichen.

Um selbst endlich mehr Informationen über die konkreten Biegewerte von modernen OK-Masten zu bekommen habe ich mich direkt an die beiden größten Masten-Hersteller auf dem Markt, „C-Tech“ aus Neuseeland und „Ceilidh“ in den Niederlanden gewandt. Dabei habe ich auf Nachfrage einige Daten der neuesten MK-II-Masten von C-Tech und der Ceilidh-Masten ab der Bau-Nummer 15000 erhalten. Durch den Abgleich weiterer Informationen von befreundeten Seglern und Informationen auf den nationalen KV-Seiten entstand die vorliegende Datensammlung.

Natürlich wollte ich am liebsten nur die Biege-Charakteristik von Masten der Spitzensegler der OK-Weltrangliste 2019 für meine Datenbank berücksichtigen, um sicher zu gehen wirklich nur erfolgreiche, also perfekt passende Masten in die Berechnungen einfließen zu lassen. Das allerdings hat nicht geklappt..

Die Daten der Hersteller sind naturgemäß die zuverlässigsten Quellen. Die Mastenbauer kennen selbstverständlich die Zielvorgaben der Top-Segler bei der Bestellung und arbeiten mit ihnen an der Weiterentwicklung des eigenen Produkts. Auf dem Boden dieser Erkenntnisse können sie auch für jeden anderen Mast einen geeigneten Gewichtsbereich (+/- 5 kg) angeben. Manchmal wird dieser Bereich aber auch verschoben, um die Größe und/oder die körperliche Verfassung des Steuermannes zu berücksichtigen.
Weitere Quellen für die Datensammlung waren Verkaufsanzeigen von Masten auf den nationalen OK-Seiten. Berücksichtigt habe ich die Daten nur, wenn in der Anzeige auch der empfohlene Gewichtsbereich des Steuermannes angegeben wurde. Bei den Messwerten, die ich von befreundeten OK-Seglern erhalten habe, habe ich aus Mangel an etwas Besserem manchmal ihr aktuelles Gewicht einberechnet, da ich nicht wusste, für welches Gewicht ihr Mast ursprünglich hergestellt wurde.

Ende 2019 habe ich dann die Daten von insgesamt 42 Masten zusammengestellt. Dabei habe ich mich auf die aus meiner Sicht, verlässlichsten Daten beschränkt. Aufgetragen wurden die Tip-Werte (vergleiche Teil I) der Masten in Korrelation zum Körpergewicht des Seglers. Es entstand dabei jeweils eine Punktewolke für die seitliche und für die longitudinale Biegung des Masts:


Die eingezeichneten Geraden sollen der linearen Regression entsprechen. Die „beste“ Linie durch die Punktewolke, die sogenannte Regressionsgerade wurde mit der „Methode der kleinsten Quadrate“ (-siehe hierzu die einschlägigen Seiten im Internet-) erstellt. Danke Excel!
Allerdings kann man mit dieser Methode immer „irgendeine“ Linie durch mehrere Punkte legen. Ob aber tatsächlich ein linearer Zusammenhang besteht gibt der Korrelationskoeffizient R² an. Werte nahe an 1 sprechen für eine gute lineare Darstellbarkeit, Werte nahe 0 sprechen für einen fehlenden linearen Zusammenhang der dargestellten Wertepaare.
Angesichts der beiden hier berechneten Korrelationskoeffizienten (0,5017 und 0,6129) würde jeder Statistiker ziemlich laut meckern. Auffällig ist immerhin, dass der Zusammenhang zwischen Tip-Wert und Körpergewicht für die seitliche Biegung deutlich weniger schlecht, also linearer erscheint als für die Biegung in der Längsrichtung des Bootes. Das legt nahe, dass das Maß für die seitliche Biegung der wichtigere Wert für die Anpassung des Masts an das Körpergewicht des Steuermannes ist.

Die Punkte in beiden Diagramen zeigen also eine ziemlich breite Verteilung. Das allerdings kann keine große Überraschung sein angesichts der Art und Weise wie die Messwerte erhoben wurden. Zudem geben auch die Überlegungen in Teil I Hinweise darauf, dass es möglicherweise mehr als einen optimal biegenden Mast für ein Körpergewicht gibt. Insbesondere die unterschiedliche Art zu segeln und die sonstigen körperlichen Voraussetzungen des Steuermannes sind Variablen die eine einfache lineare Korrelation zwischen Biegeverhalten und Körpergewicht unwahrscheinlich machen.
Trotz aller Einschränkungen, -als grober Anhalt bei der Suche nach einem geeigneten Mast könnten die beiden Graphen auf verschiedene Weise dienen.


Versuchen wir das mal anhand von drei konkreten Beispielen umzusetzen:
Beispiel 1:
In einem Interview hat der Weltranglisten-Erste Thomas Hanson-Mild sein Gewicht mit 89kg angegeben. Sein Mast hat einen seitlichen Tip von 230mm und nach hinten von 520mm. Nach seiner Einschätzung sei der Mast etwas zu weich für sein Gewicht, aber das passe gut zu seiner Art zu segeln.
Nach unseren Graden müsste bei einem Gewicht von 89kg der „perfekte“ Mast für Thomas einen seitlichen Tip-Wert von 227mm haben (-1,8122 x 89 + 387,96 = 227)
Für die Biegung nach hinten ergibt sich nach unserer Kurve bei 89kg ein Tip-Wert von 509mm (-3.3313 x89 + 805,58 = 509)
Das bedeutet, zur Seite biegt der Mast von Thomas optimal und ist nach hinten tatsächlich etwas weicher als der Standard. Die subjektive Einschätzung von Thomas, das sein Mast eher etwas zu flexibel für sein Gewicht sei, deckt sich mit den Ergebnissen unserer Datenanalyse.

Beispiel 2:
In einer Verkaufsanzeige auf der deutschen OK-Homepage wurde ein Mast angeboten mit einer seitlichen Biegung von 224 und einem Tipwert in Längsrichtung von 455. Zu welchem Gewicht würde dieser Mast nach unseren Diagrammen passen?
Überraschenderweise finden wir bei der Umformung unserer Gleichung zwei völlig verschiedene Steuermansgewichte:
Für die seitliche Biegung – (1/-1.8122) x 224 + -387.95/-1.8122) = 90 kg
Für die Längsbiegung – (1/-2.7741) x 455 + (-754.98/-2.7741)= 105 kg!
Dieser Mast wurde von Greg Wilcox, Segelmacher von Turtle-Sails und seit Jahrzehnten in der OK-Weltspitze, zum Verkauf angeboten. Mit diesem Mast wurde er zweiter und vierter bei OK-Weltmeisterschaften und wog dabei 84 und 85kg. Auf Nachfrage antwortete Greg, -ohne das ich ihm etwas in den Mund gelegt hatte, das dieser Mast nach seiner Einschätzung gut zu einem Segler mit 95kg Körpergewicht passen würde. Er ist erheblich steifer in Längsrichtung als unser berechneter Durchschnittsmast, aber offensichtlich kann man damit ziemlich schnell segeln.

Beispiel 3:
Ich wiege 82kg (vor dem Urlaub)und bin im Besitz von zwei OK-Masten, die ich gebraucht gekauft habe. Passen die überhaupt zu mir?
Um statistische Fehler zu vermeiden habe ich die Daten meiner beiden Masten aus der Berechnung der beiden Regressions-Diagramme heraus genommen. Mit den übriggebliebenen Daten kalkuliert, biegt der durchschnittliche (optimale?) Mast bei 82 kg so:
Zur Seite -1.8072 x 82 + 387.23 = 239 mm.
Nach hinten -3.3327 x 82 + 805.94 = 533 mm
Glücklicherweise sind die Tip-Werte meiner beiden Masten nicht so weit entfernt von diesen Werten. Allerdings werde wohl noch ziemlich viel trainieren müssen bis ich auch auf dem Wasser beweisen kann, dass es sich um meine „perfekten Masten“ handelt, mit denen ich Weltmeister werden kann.

Der dritte Teil der Artikelserie folgt in einigen Tagen.