Der perfekte Mast – Teil 2

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von Thorsten Schmidt 09.12.2016
Nachdem im ersten Teil Greg Wilcox über den optimalen Mast philosophiert hat, wird im zweiten Teil Jörgen Holm, der sehr erfolgreiche Segelmacher von Green-Sails, seine Sicht der Dinge darstellen. Einen weiteren spannenden Blickwinkel eröffnet direkt im Anschluss Martin von Zimmermann, Ex-Europameister und im Hauptberuf Physiker. Martin ist bekannt dafür auch relativ komplexe physikalische Zusammenhänge für  Laien verständlich darstellen zu können ohne zu sehr zu vereinfachen.

Jörgen, wie biegt der optimale OK-Mast?

Diese Frage, so allgemein gestellt, kann ich eigentlich nicht wirklich beantworten.  Die Entwicklung der Masten unterliegt einem ständigen Wandel und vor einigen Jahren hätte ich noch ganz andere Sachen dazu erzählt. Ich bin sicher, dass auch die OK-Masten der Zukunft sich unterscheiden werden von den Masten die wir heute verwenden.

Vor 10 Jahren war die Idee einen Mast vor allem im oberen Bereich biegen zu lassen,  so sollte bei Böen der Druck herausgelassen werden, weil das Masttopp mehr arbeiten konnte.  Eigentlich keine schlechte Idee.  Allerdings, wenn ein Mast im oberen Bereich stark biegt, braucht das dazu passende Segel aber auch viel Vorliekskurve in dieser Zone.  Bei wenig Wind arbeitet solch ein Segel nicht gut weil im Top wegen der Tiefe im Segel die Strömung abreißt, im Überlast-Windbereich ist das Segel wegen des tieferen Bauchs nicht flach genug zu trimmen, man hat also zu viel Druck und kann das Boot nicht flach segeln.  Diese Segel hatten nur einen schmalen Windkorridor wo sie optimal funktionierten, so bei 4 Bft. war alles gut.

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Jörgen Holm, IDM 2016 in Kiel — Foto: Ralph Linow

Neue Masten biegen vor allem im unteren Bereich, also zwischen Mastfuß und  der Zone knapp oberhalb des Lümmelbeschlags.  Darüber sind die Masten relativ hart, sowohl zur Seite als auch nach hinten.  Durch dieses Biegeverhalten ist  es möglich den Mast mehr nach vorne zu stellen und auch gerader, also mit weniger Mastfall  in das Boot zu stellen. Vor dem Wind ist ein gerade stehender Mast natürlich ein Vorteil. Weil ein moderner Mast bei Zug am Achterliek unten sozusagen wegknickt steht der Mast an der Kreuz wieder so ähnlich wie früher im Boot.

Die Zahlen der Biegekurven muss man wegen des neuen Biegeverhaltens auch differenziert sehen:  Für mich als Segelmacher ist die Vorliekskurve eines Segels natürlich wichtig, damit ich das Segel auf den Mast anpassen kann. Die Zahlen der Biegekurve des Mastes bei  25-50-75% der Strecke zwischen den zwei Meßmarken des Masts sind aber nicht so wichtig, wenn es darum geht ob ein Mast insgesamt weicher oder härter ist.

Diese Zahlen zeigen für die Biegung nach hinten an, wie viel  Segeltiefe/Kurve ich in ein Segel einbaue,  die Biegekurve zur Seite beeinflusst die Eigenschaften beim Segeln.  Ein weicher Mast zur Seite ist leichter zu segeln, erfordert weniger Aufmerksamkeit, ein härterer Mast ist aggressiver, fordert mehr Aufmerksamkeit, Pausen beim Hängen/Steuern werden sofort bestraft, du kannst aber mehr Höhe segeln.
Natürlich sollen beide Kurven,  die nach hinten und auch die zur Seite,  im Bereich des Segels möglichst gleichmäßig und harmonisch sein, also nicht irgendwo einen Knick haben.  Der Knick im Mast ist heutzutage eben unterhalb des Segelbereichs eingebaut. Das Maß für das Wegknicken oder die Härte eines Masts ist der sogenannte Tipp, weil dieser Wert die Biegung des gesamten Masts, also vom Mastfuß bis zum Masttop angibt.

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Martin, wie ist deine Meinung zu der Entwicklung der Masten seit Carbon benutzt wird?

Ich sehe den Vorteil der neueren Generation von Masten vor allem darin, dass das Segelprofil  beinahe konstant bleibt  zum Beispiel wenn eine Böe einfällt.  Auch wenn das Boot in der Welle abgebremst wird und wieder beschleunigt bleibt das Profil annähernd gleich. Die Reaktion des Masts auf diese Einflüsse findet überwiegend unterhalb des  Segels, also zwischen Mastfuß und Baumbeschlag statt und damit reißt die Strömung im Segelprofil weniger schnell ab. Mehr Anströmung, längere, weniger unterbrochene Anströmung des Segels heißt mehr Vortrieb.

Das ist ein ganz großer Unterschied zu den älteren Masten aus Holz, Alu und der ersten Generation der Carbonmasten.  Erst die neuen Carbonfasern,  die sogenannten High-Modulus-Fasern,  erlauben relativ unkompliziert den Bau solcher Masten. Bei dünner Bauweise weisen diese Masten eine enorme Steifigkeit auf.

Eine High-Modulus-Faser unterscheidet sich von einer herkömmlichen Faser in ihrem Elastizitätsmodul. Während eine ‘normale’ Karbonfaser ein Elastizitätsmodul von etwa 250 GPa (Giga-Pascal, das ist eine Druckeinheit, entsprechend 2500 Kilo-bar) besitzt, haben High- Modulus-Fasern hier Werte von etwa 400 – 600 GPa. Zum Vergleich: Holz besitzt einen Wert zwischen 10 und 15, Alu um die 80 GPa. Das Elastizitätsmodul beschreibt die Ausdehnung der Faser bei einer bestimmten Spannung (Kraft pro Fläche). Je grösser das Elastizitätsmodul, desto  geringer die Ausdehnung.

Das sagt nun erst mal wenig über einen Mast. Aber man kann das vergleichen mit der Seite auf einer Geige oder dem Vorstag eines verstagten Masts. Mit High-Modulus Fasern erreicht man viel größere Spannungen, die man mit  “normalen” Materialien niemals erreichen würde ohne dass das Ding reißt. Das bedeutet um in der Analogie zu bleiben, höhere Töne auf der Geige, beziehungsweise ein weniger durchhängendes Vorstag. Ein unverstagter Mast aus High-Modulus Material kann daher viel mehr Druck aufbauen ohne seine Elastizität zu verlieren, als z.B. ein Holzmast.

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Martin von Zimmermann, IDM 2016 in Kiel — Foto: Ralph Linow

Den Druck/Spannung, eigentlich Steifigkeit, braucht man, damit das Segel die Form behält. Die Flexibilität braucht man damit sich der Mast, den wechselnden Bedingungen anpassen kann z.B. wenn das Boot beim Eintauchen in die Welle abbremst und dann wieder beschleunigt. Das machen die neuen Masten, wie schon erklärt, vor allem im unteren Bereich.

Dieser untere Bereich ist aber eben auch besonders stark belastet und ganz am Anfang der Entwicklung sind Carbonmasten gerade in dieser Zone, also zwischen Deck und Lümmelbeschlag häufig gebrochen. Man kann mehr Bruchlast durch den Einsatz von mehr Material erreichen, aber dann fehlt die Flexibilität die wir uns wünschen. Erst die High-Modulus-Fasern bieten so viel Bruchlast, das  im unteren Bereich des Masts  mit geringerer Materialstärke die Flexibilität erreicht  werden kann und wir gleichzeitig keine Angst haben müssen das der Mast bricht.