Stille Tage in Antwerpen
von Thorsten Schmidt 12.09.12
Um es vorweg zu nehmen: Alles war anders bei der diesjährigen belgischen Meisterschaft, die wie immer im Stadtgebiet von Antwerpen ausgetragen werden sollte. Der Galgenweel lag in der Mitte eines Hochdruckgebiets still und glatt wie die aprikosensanfte Haut einer Siebzehnjährigen. Drumherum lungerten Stücker 35 sonnenermattete Leistungssportler aus Belgien und allen Anrainerstaaten.
Die Stimmung an Land war träge und zugleich irgendwie sexuell aufgeladen. Schweißglänzende muskelbepackte Körper lagen herum, wie unabsichtlich zur Schau gestellt. Begehrlich blickte man unter lasziv gesenkten Augenlidern auf die Luxuskörper, es kam zu kleinen Neckereien und überall kam es zu beinahe zufälligen Berührungen. Die Stimmung war geradezu elektrisch aufgeladen und die knisternde Erotik in der klebrigen Luft brachte die sonst so besonnenen OK-Segler beinahe um den Verstand. Während einige ihr Gemüt mit einem Bad im See abzukühlen suchten, versprachen sich die meisten Linderung durch ungezügelten Genuß von Betäubungsmitteln und Völlerei oder Konsumgütereinkauf.
Die unerwartete Rückkehr des Hohepriesters der systematischen Realitätsleugnung brachte die gefährliche Gemengelage fast zur Explosion: Eumel ist zurück- mit preiswert im Internet geschossenem Joller dänischer Abstammung und ordentlich Bier wurde bereits am Freitagabend Taufe gefeiert und so die Grundlage für die sexuellen Ausschweifungen der folgenden Tage gelegt. Samstag war kein Rennen mehr möglich bei heiß-schwüler Wetterlage und so gab am Abend der OK-segelnde Dudelsackspieler Guillaume, extra angereist aus der Stadt der Liebe, mit einem psychedelischen Klangteppich die Ouvertüre zu orgiastischen Sinnesfreuden. Paul und Ronny, unsere Gastgeber, hatten offensichtlich die Gesamtstimmung antizipiert und vorbildliche Rahmenbedingungen geschaffen.
Am Sonntagmorgen konnten oder wollten sich viele nicht an den genauen Verlauf der Nacht erinnern, manche senkten zumindest peinlich berührt den Blick oder nestelten fahrig an Kleidungstücken. Um endlich auf andere Gedanken zu kommen, wurde mit großer Bereitschaft das erste Kräuseln der Wasseroberfläche zu einem Startversuch genutzt. Bei einer ganzen Windstärke ging die wilde Fahrt los und endete nach knapp 30 Minuten auf dem nun wieder spiegelblanken See. Einer Bußprozession gleich, in fast unheimlicher Stille, Andacht und innerer Einkehr trieben die geläuterten Schäfchen am Sonntag dem Ufer entgegen. Drei Schüsse hatten dem Lauf und auch der gesamten Meisterschaft ein Ende gesetzt. Einen würdigen Meister gab es unter diesen Umständen natürlich nicht zu beklatschen.
Anonymer Bericht eines Augenzeugen (Name der Redaktion bekannt)