Belgische Meisterschaft auf dem Plate de Taille
von Thorsten Schmidt 16.10.2022
Auf dem langen Weg zur Europameisterschaft nach Bandol in Südfrankreich bot sich dieses Jahr ein Zwischenstopp bei der Belgischen Meisterschaft an. Zum ersten Mal nach Jahrzehnten fand die nationale OK-Meisterschaft nicht in Antwerpen auf dem Galgenweel statt, sondern auf einem großen Stausee im Süden von Belgien, nahe der französischen Grenze. Der Plate de Taille liegt länglich ausgestreckt in Ost-West-Richtung mitten auf dem platten Land Walloniens nördlich der Ardennen.
Christian Heinze und ich wollten unseren 9-Tage-Regattatripp gemütlich angehen und so trafen wir uns in Liblar zum Boote-Aufladen schon am Freitagnachmittag. Bis alles festgetüddelt und umverpackt war, setzte fast schon die Dämmerung ein und pünktlich nach dem Grenzübertritt nach Belgien verlangte der kleine Hunger nach lokalen Spezialitäten: Belgische Pommes mussten es natürlich sein. Und so trafen wir nach einer scheinbar endlosen Fahrt, -zuletzt über menschenleere Landstraßen, ziemlich spät am See ein. Das Clubgelände ist riesig und vollgestellt mit jeder Art von Jollen und Kielbooten. Am westlichen Ende befindet sich ein Restaurant und das Clubhaus auf einer kleinen Anhöhe und am östlichen Ende des Clubs steigt das Gelände stetig an hin zu einem richtigen Hügel. Dazwischen in der Senke liegt eine enorme Sliprampe, breiter als im Olympiazentrum in Kiel.
Leider sollten unsere Camper/Busse und OK-Jollen nach dem Plan der Organisatoren alle den Hügel hinauf geschoben werden. Den mit uns startenden 505er wurde die Pole-Position vor der Slipbahn zugewiesen. Da wir aber sogar noch im Stockfinsteren, kurz vor Mitternacht, ganz charmant von Johanna Andrews empfangen und auf unsere Position verwiesen wurden, war unser Widerstand schnell gebrochen. Die belgischen Gastgeber verteilten auf dem Hügel einen lustigen Teilnehmer-Ausweis mit teils historischen Fotos, der das ganze Wochenende zu tragen sei (völlig sinnlos) und frisches Willkommensbier (sehr sinnvoll).
Da Alexa am nächsten Tag Geburtstag hatte, feierten die bereits Angekommenen nach Mitternacht einfach bei einer kleinen improvisierten Party hoch über dem Clubgelände weiter.
Der nächste Morgen zeigte den ganzen Charme unserer belgischen Gastgeber: Keiner hatte offensichtlich mit Gästen zum Frühstück am Samstag gerechnet und so zauberten alle Beteiligten im kleinen Barbereich des Clubhauses mit Geduld und viel gutem Willen einige Stangen Baguette und langsam einsetzende Ströme von Kaffee aus dem Hut und wer wollte konnte sogar ein Lunchpaket für den langen Tag auf See bestellen.
Am Vormittag fühlte es sich so wenig nach Segeln an, -es war kalt und der See lag im Nebel, dass Simon Cox, der von England auf dem Weg nach Südfrankreich in Belgien Zwischenstation gemacht hatte, sich entschloss frühzeitig ans Mittelmeer in die Wärme aufzubrechen.
Die anderen 42 Teilnehmer aus 6 Nationen hofften auf ein Lüftchen am Nachmittag. Tatsächlich setzte der Wind aus West mit 1-2 Windstärken pünktlich zum Start ein und setzte dann auch gleich wieder aus. Zumindest auf der rechten Seite der Startkreuz blieb alles stehen und weil der “Restwind” auch noch nach links drehte, war der Titelverteidiger Pieter van Laer aus Belgien, der mehr oder weniger als einziger konsequent nach links gefahren war bereits an der ersten Tonne weit und uneinholbar in Führung.
Wenig Wind, drehende Bedingungen, das waren optimale Voraussetzungen für Ralf Mackmann den Vollstrecker. Hatte er sich im ersten Lauf schon unnachahmlich aus dem Mittelfeld bis auf Platz 2 gekämpft, so führte er im zweiten Rennen des Tages bereits am Ende der Startkreuz komfortabel. Leider hielt er unbeirrt auf die falsche Tonne zu. Die Ablauftonne der Luvmarke, auf die Ralf so zielstrebig zusteuerte, lag in etwa 150 m Entfernung und sah der eigentlichen Bahnmarke weiter in Luv zum Verwechseln ähnlich. So war Ralf auf dem Down-Wind-Kurs plötzlich nur noch Dritter. Auf der zweiten Kreuz schien wieder alles über Links zu gehen und brav fuhr das Spitzenfeld geschlossen auf diese Seite. Pieter van Laer, Seriensieger in verschiedensten Jollenklassen in Belgien sah wegen Pumpens Mitte der Kreuz die gelbe Flagge und geriet am Ende der zwei Strafkringel irgendwie nach rechts. Der Dreher im Anschluss kam perfekt für ihn und fertig war der zweite Tagessieg für den belgischen Segel-Fuchs.
Am Abend wurde die hungrige Meute im Clubhaus mit einem 4-Gänge-Menü verwöhnt. Auch hier siegte die belgische Lust an der Improvisation gegen möglicherweise vorher geplante Organisation bei der Versorgung der insgesamt gut 90 Teilnehmer. Zwischen den Gängen blieb so immer reichlich Zeit für den ungezügelten Konsum von Wein und Bier und es wurde ein sehr langer und sehr lustiger Abend.
Über Nacht hatte der Wind auf Nord gedreht und wehte jetzt quer zur Längsachse des Sees. Bei anfangs 2-3 Windstärken und Sonne starteten wir direkt vor der Slipbahn in Richtung Staumauer des Sees. An der Luvtonne wartete allerdings eine Überraschung auf die Führenden. Die Bahnmarke lag mitten im schäumenden, aufgewühlten Wasser und es stand ein starker Gegenstrom etwa 20m rund um die Tonne?! Des Rätsels Lösung: An der Staumauer befindet sich ein Pumpspeicher-Kraftwerk und es wurde offensichtlich am Sonntag Morgen fleißig Wasser in den See gepumpt. Die Wettfahrtleitung hatte die Luvtonne zielsicher genau über den Wasserauslass platziert und so spielten sich insbesondere im Mittelfeld dramatische und zum Teil auch verzweifelte Situationen bei der Tonnenrundung ab. Wieder war Ralf vor der letzten Runde in Führung und wieder verschenkte er den möglichen Sieg, diesmal durch ein verpatztes Tonnenmanöver.
Vielleicht wegen der “Wildwasser-Bahn” in Luv entschloss sich die Wettfahrtleitung den Kurs in die Mitte des Sees zu verlegen. Der Wind hatte deutlich nachgelassen und mit nur etwa 4-5 Knoten pendelte er weiterhin aus Nord kommend beständig hin und her. Die Wettfahrtleitung brauchte knapp zwei Stunden um die Bahn auszulegen, frei nach dem Motto: “Gut Ding will Weile haben!” Leider geriet der Kurs deutlich zum Anlieger und lediglich auf dem kurzen Stück zwischen Luvtonne und Ablauftonne mussten wir kreuzen. Es ging alles über einen guten Start und danach fuhr das ganze Feld brav hintereinander her wie eine Entenfamilie.
Erstaunlicherweise reagierte die Wettfahrtleitung auch für das dritten Rennen des Tages nicht mit einer Kurskorrektur und so war es kein Wunder, dass wir beim Kampf an der Startlinie drei Versuche und die Black-Flag brauchten. Wieder hatten wir Anlieger auf allen Kursen und nur eine Phase mit Totalflaute brachte etwas Würze in das langweilige hintereinanderher Segeln.
Am cleversten stellte sich erneut Pieter van Laer an. Er konnte beide Anliegerrennen gewinnen und nach 4 von 5 Tagessiegen verteidigte er den Titel des Belgischen Meisters souverän. Zweiter wurde Ralf, der bei etwas mehr Renn-Glück auch Pieter in der Gesamtwertung hätte gefährlich werden können. Dritter wurde mein Kumpel und Reisebegleiter Christian, der wieder mal sein Tümpelflitzer-Talent zeigte und so bei der sich anschließenden Reise nach Bandol mit seiner unerschütterlich guten Laune für eine richtig schöne Zeit sorgte.