Artikelserie von Jean-Michel Roux
Originalartikel ©2019 contact: yoleokfra4@gmail.com
Mit freundlicher Genehmigung des Autors frei übertragen aus dem Französischen von Thorsten Schmidt 26.04.2020
Dieser erste Teil basiert teilweise auf einer Zusammenfassung von drei Artikeln, die Ende 2016 auf der Website https://ok-jolle.de/ unter dem Titel „Der perfekte Mast“ veröffentlicht wurden.
Die Aerodynamik erfordert, dass ein Segel, um eine konstante Antriebskraft zu erzeugen, ein stabil angeströmtes Profil aufweisen sollte. Aufgrund dieser Erkenntnis hat die aktuelle Generation von OK-Masten mechanische Eigenschaften, die es ermöglichen, dass das Profil des Segels in nahezu allen Phasen des Segelns so konstant wie möglich bleibt. Idealerweise sollte sich der Teil des Masts, der das Segel trägt also nicht verformen, damit das Segel seine aerodynamischen Eigenschaften behalten kann.
Allerdings würde ein durchgehend steifer, nicht flexibler Mast es jedoch fast unmöglich machen, das Boot effizient und schnell zu segeln, da z.B. jede einfallende Böe eine Kursänderung zur Folge hätte und gegengesteuert werden müsste. Um dieses Problem zu umgehen, sind moderne Masten zwar im Bereich des Segelprofils relativ steif aber darunter, im unteren Teil des Mastes sehr flexibel.
Der größte Teil der Mastbiegung findet also zwischen dem Mastfuß und dem Lümmelbeschlag statt. Diese lokale Flexibilität der modernen Masten ermöglicht es uns ohne große Steuerbewegungen plötzliche Änderungen der Bedingungen aufzufangen, etwa bei böigem Wind oder beim Segeln in der Welle mit plötzlichem Abbremsen und wieder beschleunigen. Der Mast verhält sich im unteren Bereich ähnlich wie bei der Federung eines Autos. Die Solosegler der 1960er Jahre nannten es den „Scharniereffekt“, auf den normalerweise der Bruch ihrer schönen, lackierten Holzmasten folgte.
Die modernen Masten biegen aber auch im unteren flexiblen Bereich nicht in alle Richtungen gleich. Die Masten sind in diesem „Federsegment“ in der Längsrichtung annähernd doppelt so biegsam wie zur Seite. Eine plötzliche Druckspitze wird also vor allem nach hinten abgefedert und weniger nach Lee. So wird einem übermäßigen Verlust an Höhe auf dem Am-Wind-Kurs entgegen gewirkt.
Durch die Verwendung sogenannter „high-modulus“-Kohlefasern mit höherem Elastizitätsmodul und der besonderen Konstruktion des unteren Abschnitts mit einer speziellen Innengeometrie entstehen besonders leistungsfähige OK-Masten. Im Bild des Mastquerschnitts sieht man deutlich die dickeren seitlichen Wände im Vergleich zu den nach vorn und hinten gerichteten Mastabschnitten.
Aufgrund der viel größeren Flexibilität im unteren Bereich nach hinten als zur Seite kippen moderne Masten unter dem Einfluss des Großschotzugs mehr nach hinten. Das hat aber eine Verschiebung des Segelschwerpunkts zur Folge. Um ein ausgeglichenes Boot am Steuer gegen den Wind zu haben, ist es daher grundsätzlich notwendig, diese Masten weiter vorne ins Boot zu stellen und/oder mit weniger Mastfall zu fahren als bei der ersten Generation der Carbonmasten oder bei den Alumasten. Ein aufrecht stehender Mast ist auch auf dem Vor-Wind-Kurs von Vorteil, da die dem Winddruck ausgesetzte Fläche des Segels sich vergrößert.
Die Biegekurve eines OK-Mastes wird normaler Weise getrennt gemessen für die Längsrichtung und für die Biegung zur Seite. Dafür wird der Mastfuß fixiert, der Decksring aufgelagert und die Mastspitze mit einem Gewicht von 10 kg in beiden Achsen nacheinander belastet.
Der Ausschlag der Mastspitze zwischen seiner Ruheposition A und Position B unter Belastung wird als Tip-Wert bezeichnet und ist das Maß für die Steifigkeit eines Mastes. Die Senkrechten zwischen der Sehne (D-C) und den Markierungen bei 25-50-75% der Vorliek-Länge, definieren die Mastbiegekurve des Segels und sind beim Segelschnitt für den Segelmacher von besonderer Bedeutung.
Auf den ersten Blick ist es offensichtlich, dass ein leichter Steuermann einen weicheren Mast benötigt als ein schwererer oder athletischerer Steuermann. Ein Mast, der in Bezug auf das Gewicht des Steuermannes seitlich etwas zu flexibel ist, wirkt wie ein Überdruck-Ventil. Er biegt sich unter dem Einfluss von Wellen und Böen stärker. Ein weicherer Mast reguliert also Wind-Spitzen ebenso wie den plötzlichen Druckanstieg in der Welle annähernd automatisch und erfordert damit weniger aufmerksames Steuern und weniger aktives Hängen. Der etwas weichere Mast verzeiht Steuerfehler besser und die Frau/der Mann am Rohr kann sich so mehr auf das konzentrieren, was außerhalb des Bootes passiert. Umgekehrt erfordert ein relativ zum Körpergewicht härterer Mast mehr Aufmerksamkeit bietet aber auch mehr Kraft und Vortrieb.
Nach Meinung vieler Spitzensegler sollte die Mast-Flexibilität in Längsrichtung, also die Biegung nach hinten, vor allem dem Segelstil des Steuermannes angepasst werden. Ein Mast, der in Bezug auf das Körpergewicht in Längsrichtung etwas zu steif ist, kann mit einem im vorderen Drittel etwas flacheren Segel kombiniert werden um einen gewissen Ausgleich zu schaffen.
Steifere Masten sind anspruchsvoller zu segeln. Der Steuermann muss bei Wellen und böigem Wind sehr reaktiv sein, stärker steuern und sehr dynamisch hängen. Man braucht mehr Energie und Aufmerksamkeit für das Steuern und den Gewichtstrimm des Bootes.
Die Kenntnis deines Segelstils in Kombination mit den seitlichen und longitudinalen Biegewerten ist daher entscheidend, um zu wissen, ob ein Mast für dich geeignet ist.
Ein Mast, wie auch immer er biegt kann natürlich nur dann eine gute Leistung erbringen, wenn die Vorlieks-Kurve des verwendeten Segels dazu passt.
Während die Tip-Werte von Mast zu Mast zum Teil stark variieren, ähneln sich die typischen Biegekurven der heutigen Masten alle sehr und gehorchen mehr oder weniger dieser Aufteilung
Messposition am Vorliek | ¼ | ½ | ¾ | |||
Seitlich | 67% | 100% | 87% | |||
Längsrichtung | 75% | 100% | 75% |
Die Prozentangaben beziehen sich auf den maximalen Abstand (100%) der Sehne zwischen D und C wie in der Abbildung oben dargestellt.
Die Biegekurven eines Mastes sollten also so gleichmäßig und harmonisch wie möglich sein, der größte Ausschlag befindet demnach auch in der Mitte des Vorlieks damit im Segel keine Beule oder Falte entsteht, wenn der Mast biegt. Die Werte der Mastkurve in der Längsachse geben dann dem Segelmacher die notwendigen Angaben, um den Bauch im Segel über die Vorlieks-Kurve zu definieren. Der Segelmacher berücksichtigt also mit der Vorliekskurve die Mastbiegung durch den Schotzug und berechnet zusätzlich ein wie tief das Segel insgesamt sein soll. Je mehr Schotzug desto mehr biegt der Mast nach hinten und desto flacher wird das Segel. Ein schwererer Steuermann kann mit einen steiferen Mast segeln, weil er bei den meisten Bedingungen mit dem größeren Druck im Segel zu recht kommt. Ein tieferes Segel entwickelt natürlich mehr Kraft und ermöglicht eine größere Höhe gegen den Wind.
Die Kombination der verschiedenen Faktoren aus Körpergewicht, Fitness und Können des Steuermannes mit der Vielzahl von Biegekurven der Masten und der verschiedenen Schnitte der Segel macht die Suche nach dem perfekten Mast so individuell und so schwierig.
Im zweiten Teil (folgt in einigen Tagen) dieser Serie werden ganz konkret die Biegekurven verschiedener Masten in Abhängigkeit zum Körpergewicht betrachtet und es wird versucht eine Systematik darzustellen, die bei der Auswahl eines Masts Orientierung bietet.